Was ist Deine Vorstellung von “Wohnen“?
Dieses Interview ist eine Transkription eines Interviews mit Andreas Galli, welche im Rahmen der Forschung «Habiter l’entre-deux» von Naïri Arzoumanian & Daphné Bengoa geführt wurde.
Was ist Deine Vorstellung von “Wohnen?
Unter Wohnen verstehen wir das Gefühl, dass man gerne nach Hause kommt. Das beginnt schon auf dem Vorplatz und bevor man überhaupt beim Haus ist, oder die Treppe hoch geht. Folglich beginnt das Wohnen nicht erst bei der Wohnungstüre, sondern schon viel früher. Es braucht einen vertrauten Ort, an den man einfach gerne hingeht. Wenn man dann das Haus betritt, ist es für viele Leute ganz wichtig, dass auch die Funktionalität des Wohnens stimmt. Das ist das erste Urteil.
Das betrifft den Vorplatz, den Vorbereich und die Garderobe, wenn man reinkommt. Es ist wichtig, dass die Küche und das Bad stimmen und dass es einen Balkon hat. In Bezug auf die Funktionalität ist es dann wichtig, dass diese Räume gut mit sich zusammenspielen. Denn das ist der tägliche Ablauf, wenn man morgens aufsteht. Man macht sich bereit und geht zur Arbeit und das muss alles für sich stimmen.
Dann gibt es aber noch einen anderen Aspekt. Das Wohnen muss ein Ambiente haben und da sind wir als Architekten gefordert. Manchmal müssen wir etwas bauen und wir kennen ja die Leute nicht. Dennoch ist es wichtig, dass die Materialien, die Farben, der Eingang, die Oberflächen und das Licht miteinander harmonieren. Auch der Lichteinfall muss stimmen. Wir integrieren oft glatte Wände, weil das Licht dann ganz anders ist. Das Ambiente ist in diesem Sinne ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt. Dann kommt noch etwas dazu, was im Allgemeinen für die Leute sehr wichtig ist. Sie möchten sich Ihren Wohnraum aneignen können. Ein anderer wichtiger Aspekt sind auch die Proportionen. Die Räume müssen schöne Proportionen haben.
Und dann eben der Aspekt der Aneignung. Die Leute die müssen ihre Räume so möblieren können, dass sie sich ihre eigene Welt aufbauen können. Die Leute die müssen bei sich sein. Wenn Sie nach Hause kommen müssen sie denken:» Ich komme in meine geborgene Welt». Wir sind alle Individualisten und wir haben alle eine Vorstellung von einer Lebensphilosophie und das muss im Wohnen ausgedrückt werden können. Man soll, wenn man Besuch hat, gerne einen Teil seiner eigenen Welt preisgeben, die sich im Wohnen, in den Bildern und in den Farben reflektiert. Dazu müssen die Wohnungen so gestaltet sein, dass sich in ihnen jeder eine eigene Welt bauen kann.
Was sind Deiner Meinung nach die Merkmale eines hochwertigen kollektiven Wohnraums?
In einem hochwertigen kollektiven Wohnraum spielen Kommunikation, Austausch und Begegnung eine wichtige Rolle. Und ich glaube das hängt damit zusammen, dass es auch innerhalb eines Kollektivs verschiedene Abstufungen gibt. Es gibt nicht eine einheitliche Definition von Öffentlichkeit, sondern es braucht eine Abstufung von etwas mehr privat zu öffentlich. Es braucht aber auch Orte, wo man sich begegnen kann. Orte wo man sich eben austauschen- oder vielleicht zusammen kochen-, oder spielen kann.
Im Herzen eines kollektiven Wohnraums braucht es zudem Rückzugsmöglichkeiten. Folglich braucht es sozusagen eine Abstufung von öffentlichen Räumen. Kollektiv kann heissen, dass man 20-30 Personen zusammen ist. Kollektiv kann aber auch bedeuten, dass man zu dritt oder zu viert ist. Deshalb braucht es eben unterschiedliche Abstufungen von Räumen und unterschiedliche Möglichkeiten das zu leben.
In Bezug auf die Gebäude glauben wir, dass es für die Schaffung eines kollektiven Wohnraums sinnvoll ist, flexible Räume zu schaffen. Das sind Räume, die nicht einfach nur auf eine Nutzung zugeschnitten sind. Dies ermöglicht eine ganz unterschiedliche Nutzung dieser Räume. Die kollektiven oder gesellschaftlichen Tätigkeiten und der soziale Austausch, finden jeweils in einem veränderten und Umfeld statt. Deshalb müssen die die Räume anpassbar sein. Ein Kindergeburtstag ist etwas anderes, als wenn jemand 60 wird. Der Raum muss die Möglichkeit haben, dass man ihn unterschiedlich gestalten kann.
Die Frage vom Übergang vom privaten zum öffentlichen Raum ist beim Erlenmatt wichtig. Damit ist auch die Thematik des Übergangs vom privaten zum öffentlichen beim Erlenmatt ganz zentral. Mit dem
Zugang über die Erschließung haben wir einen Weg gewählt, bei dem man zwar auf Distanz ist, sich aber schon im Kollektiven fühlt. Man nähert sich dann über die Brücke an, die gemeinschaftlich ist und dann mehr ins Private geht. Auch das ist ein kollektiver Raum. Auf diesen Brücken im Erlenmatt kann man dann selber entscheiden, ob man auf die eine Seite von der Brücke geht oder ob man sich nicht den anderen Mitbewohnern annähert.
Welche Wünsche und Aufgabenstellungen der Bauherrschaft haben sie bei ihrer Entwurfsarbeit inspiriert?
Die Wünsche oder Erwartungen der Bauherrschaft waren sehr interessant. Es gab ja einen Wettbewerb und in diesem Wettbewerb wurden wir ja dann mit diesen Fragen alleine gelassen. Das heisst, wir konnten keine Rückfragen stellen.
Aber wir bekamen das Regelwerk für die Erlenmatte das REO. Im REO wurden Mantellinien vorgegeben. Folglich war das Volumen gegeben und wir bekamen das Programm, das sehr vielseitig war. Ein Aspekt war das Abbild der demographischen Schweiz. Es war vorgesehen, dass Menschen von 0 bis 99 hier wohnen sollten. Ein Gemeinschaftsraum, eine Kindertagestätte und ein begleitetes Wohnen für beeinträchtigte Personen musste integriert werden. Und dann auch noch Arbeitsräume für Externe, die dort hinkommen und dort arbeiten. Darum gab es in diesem Projekt eine zweite Ebene. Es war nämlich eine Herausforderung, diese Personenflüsse so zu regulieren, dass sie gut aneinander vorbeikommen. Wie gesagt, das Volumen des Gebäudes war gegeben. Das Haus musste eine entsprechende Breite haben. Wir hatten aber nicht die entsprechende Fläche zur Verfügung und was uns im Entwurf geholfen hat, war eigentlich die zusätzliche Herausforderung. Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir von
einer Straßenseite her einen unglaublichen Lärm hatten, der zu stark ist, dass man dort wohnen kann.
Deshalb haben wir das Wohnen vom Lärm abgerückt. So konnten wir die kollektiven Räume als Aussenraum und Zwischenzone einbauen. Für das Erschließungssystem haben wir eine raumhaltige Wand eingebaut. Wir haben die Erschließung am Ende platziert und nun kommt man über diese raumhaltige Wand, die einen Filter zum Durchschauen hat, zu den Wohnungen. Anschliessend kommt man über diesen Weg auf die Brücken. Am Anfang dachten wir, dass dieses Problem fast nicht zu lösen ist. Oft führen schwierige Herausforderungen und vielseitige Anforderungen zu interessanten Resultaten.